Eine neue Welt: Lucio Battisti – Il Nostro Caro Angelo

Der Song „La Calzone del Sole“ auf dem Album Il Nostro Caro Angelo von Lucio Battisti eröffnete mir eine neue Welt, die ich vorher so nicht kannte.

Wie kann man neue Musik nach fast fünfzig Jahren entdecken? Nun, man nehme ein kleines Buch des deutschen Musikmagazins „Rolling Stone“ in die Hand und blättere drin rum. Anläßlich der 222. Ausgabe der Zeitschrift durften die Musikredakteure ihre Lieblingssongs benennen. Mir haben solche Listen immer Spaß gemacht; konnte ich doch anhand dieser Aufstellungen viel Neues entdecken. Allerdings stand das Büchlein schon einige Jahre im Bücherregal als ich es Weihnachten 2019 aus Langeweile noch einmal in die Hand nahm. Auf Seite 18 steht zu lesen: „Man muss mit solchen Wörtern ja aufpassen, aber ich kann mir kaum eine reinere Musik vorstellen als die von Lucio Battisti.“ Der Song, um den es hier ging, hieß „La canzone del sole“ und dieser eröffnete mir eine neue unbekannte Welt.

Lucio Battisti - Il Nostro Caro Angelo

Geschmackvoll produzierte Musik von Lucio Battisti, wie ich sie nicht erwartet habe

Italienische Musik, das war und ist für mich einerseits sehr eingängige, manchmal auch klebrige Pop- und Schlagermusik oder aber nicht sehr eingängiger Jazz-Prog-Rock. Aber dieser eine Satz machte mich neugierig und nach dem ich „La canzone del sole“ gehört hatte, begab ich mich auf die Suche nach der Musik von Lucio Battisti im Internet. Es war Weihnachten und ich hatte Urlaub, also viel Zeit. Der sehr ausführliche Wikipedia-Eintrag machte das Ganze nur noch interessanter und half mir, die richtigen Alben zu finden. Nachdem ich „Il mio canto libero“ und „Ancora tu“ entdeckt beziehungsweise wiederentdeckt habe, stolperte ich über „La collina dei ciliegi“, den ersten Song auf dem Album „Il nostro caro angelo“ aus dem Jahre 1973. Das war keine Pop- oder Schlagermusik, sondern fantasievoll arrangierte und vor allem höchst geschmackvoll produzierte Musik, wie ich sie nicht erwartet hätte.

Verwunderung bei Sekunde 54

„La collina dei ciliegi“ beginnt mit der sehr angenehmen Stimme Battistis, einer elektrischen Gitarre und einer einnehmenden Melodie. Dann steigt der Bass ein, danach Bass- und Snaredrum, und zwar sehr transparent. Es sind gerade mal 39 Sekunden rum, und wer an dieser Stelle des Songs noch kein Battisti-Fan ist, sollte aufhören, weiterzulesen. Alle anderen Interessierten werden sich ab der 54. Sekunde wundern, warum das Schlagzeug plötzlich nicht weiterspielt, die Gitarre aufhört, der Bass sich verläuft und das Lied irgendwie von vorn anfängt.

Und statt eine Snaredrum taucht plötzlich so etwas wie eine Zimbel auf und man fragt sich, ob man hiermit richtig liegt (ich habe keine Ahnung!)? „La collina dei ciliegi“ war damals in Italien eine Nummer 1, und ich frage mich, warum hier in Deutschland niemand davon Notiz genommen hat. Ok, damals führten Bernd Clüver und Otto Walkes die deutschen Charts an, damit erübrigt sich meine Frage.

Sei’s drum, Lucio Battisti entführt mich in seine Musik und wenn man im Netz ein weiter sucht findet man auch ein paar Demo-Fassungen, die es so nicht auf Alben geschafft haben (zum Beispiel eine achtminütige Fassung des Titelstücks „Il nostro caro angelo“). Genau dieses Stück ist es auch, dass das Album so stark leuchten lässt. Auch hier trägt eine Bassline dazu bei, dass man diese Platte haben muss, auf Vinyl, als CD oder was auch immer. Mittendrin taucht ein E-Piano auf und leider hört die Musik viel zu früh auf und dann ist man froh, dass man auch auf die lange Fassung im Netz zugreifen kann. Die gibt es meines Wissens bislang nicht auf einem Tonträger zu kaufen.

Vinyl-Alben wie Il Nostro Caro Angelo kaum noch zu haben

„Il nostro caro angelo“ kann eigentlich nur der Einstieg in die Musik Battistis sein und wenn man offene Ohren hat, dann sollte es direkt mit dem Folgealbum „Anima Latina“ weitergehen, eine Platte, die unbedingt eine eigene Plattenkritik braucht. Und danach mit „Lucio Battisti, la batteria, il contrabasso eccetera“. Auf diesem Album findet man als Eröffnungsstück „Ancora tu“, mit dem Battisti uns seine Idee der Discomusik vorstellt und das jeder schon mal gehört hat, ohne zu wissen, wer da eigentlich singt.

Ich schweife ab, hier sollte es um das oben genannte Album gehen. Aus meiner Sicht gibt es angloamerikanische und lateinamerikanische Einflüsse noch und noch. Hier finden Pink Floyd und die komplette kompositorische Klasse eines Antônio Carlos Jobim zusammen. Jedenfalls kann jeder Song für sich alleine stehen und wenn man alles entdeckt hat will man noch viel, viel mehr entdecken. Auf geht’s.

P.S.: Wer auf die Jagd nach den alten Vinyl-Scheiben geht (so wie ich es bereits versucht habe), wird sich ziemlich schnell ärgern. In den deutschen Second-Hand-Vinyl-Läden gibt es kaum ein Interesse an italienischer Musik. Ist vielleicht ganz gut so, denn es bewahrt uns das Gefühl, Battistis Musik ganz für uns alleine zu haben.


*Werbehinweis für Links: Es handelt sich um einen sog. Affiliate-Link, das heißt, wenn auf der verlinkten Website etwas eingekauft wird, erhält der Betreiber von plattenkritik.com eine Provision. Das hat keinen Einfluss darauf, wie eine Schallplatte bewertet wird.