Der Götz ist mir in meiner fast sechzigjährigen Musikkarriere bislang nicht über den Weg gelaufen. Also muss ich mir erstmal seine Biografie anlesen, bevor ich in sein neues Album „Blütenduft“ einsteige. „Götz ist ein Liedermacher“ lese ich da. Seine Lieder handeln von Sex, Politik und Alkohol. Es geht also ums Ficken, Lügen und Saufen. Perfekt. Ich bin neugierig.
Party Time
Der Opener, eigentlich das Aushängeschild für ein Album, kommt als Ohrwurm daher und bietet einen humorvollen Text über das Feiern, das immer und überall Vorrang hat. Hier freut sich der bierselige Alkoholiker über jede Menge Zuspruch und schießt sich komplett ab. Nun ja, ich persönlich empfinde das Saufen eher als eine Sucht und kann der Party Time daher weder textlich noch musikalisch viel abgewinnen. Das Arrangement ist einfach gehalten, geht natürlich sofort ins Ohr und wird bei den Konzerten wahrscheinlich abgefeiert werden.
Blütenduft
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Großkonzern
Der zweite Song bietet mindestens zwei Akkorde, die sogar ich auf der Gitarre fehlerfrei greifen kann. Und mit dem Text holt mich Götz auch ab, vor allem der Refrain ist genial einfach:
„Ich wär so gern
Großkonzern„
Wenn nur nicht der wirklich üble Gesang die Wörter viel zu stark konterkarieren würde. Das ist ein wenig „too much“ und würde mit einer schlichteren Betonung deutlich kritischer rüberkommen. Aber ich nehme an, dass der Gesang ein Markenzeichen von Götz Widmann ist. Mir ist das zu übertrieben und zu viel. Mein Freund Harald würde sagen „Das ist ein bisschen drübber…“ und damit hätte er recht. Trotzdem, der Text geht völlig in Ordnung und in die richtige Richtung. Die Gier in unserer Welt wird uns irgendwann die Rechnung präsentieren. Und wer es gerne etwas punkiger mag, kommt hier auf seine Kosten, allerdings nicht voll.
Romi
Bei Romi hätte ich auch gerne im Garten gesessen und ihr beim Dreiblatttütendrehen zugeschaut. Hier schafft Götz einen einfühlsamen und warmen Text, der unter die Haut geht:
„Alles was ich gerade vom Leben will,
ist nur Natur,
ein Traum,
ein Kaffee unter deinem Baum,
Blütenduft und frische Luft“
Was mir hier besonders gut gefällt, ist die absolute Freiheit, beim Texten nicht auf irgendwelche Schreibregeln achten zu müssen. Das mach ich genauso und dies ist auch der Grund, warum ich zum ersten Male so kritisch bei einer Plattenbesprechung bin. Das große Lob für deutschsprachige Songtexte kommt später im Fazit.
Trinkerdisneyland
Die Rolling Stones werden direkt im Text genannt und der Refrain klingt und duftet danach. Besser geht es nicht und Matthias Keul ahmt hier ganz bewußt den Pianosound von Ian Stewart nach, der leider viel zu selten Erwähnung findet. Das ist ein richtig guter Song, den Götz Widmann hier präsentiert und sehr, sehr viel Spaß beim Zuhören macht:
„Ich hab noch nie nen Mensch so glücklich aus der Kirche kommen sehen,
es gibt Läden, die dürften nie den Jordan runtergehen…“
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Mehr InformationenIm Song werden Kneipenläden aufgezählt, die es leider nicht mehr gibt. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, stand ich doch erstens mit meinem Vater jeden Sonntag in der Kneipe gegenüber der Kirche an der Theke und war doch zweitens einer meiner Kneipen das „Haus Jordans“ in Neuss. Und hier passt auch die Stimmfarbe zum Song. Und der federnde Bass von Dirk Kunz ist gut abgemischt und transparent.
Leise Funken
Damit hab ich jetzt nicht gerechnet, die Food Band lebt! Herr Keul holt sein E-Piano aus dem Keller und Herr Widmann erklärt ganz „leise“, warum Nachbarn einem auf den Nerv gehen können. Leider dauert das Klangerlebnis nur 3 Minuten und 16 Sekunden. Viel zu kurz, da hätte ich mir doch noch einen langen schönen E-Piano-Ausklang gewünscht.
Das Album nimmt einen ungwöhnlichen Weg, plötzlich höre ich zu und denke mir, dass Götz Widmann gar nicht so schlecht ist. Der „Funke“ kommt wunderbar rüber, ist klasse arrangiert und gefällt mir richtig gut. Götz beschreibt die Evolution mit einprägsamen Bildern und mit wohlgesetzten Worten.
Bei allem Respekt…
„…Du bist so gelungen,
ich habe in meinem Leben
schon ne Menge Quatsch gesungen…“
Auch der Song „Du“ kann sehr gut gefallen und lässt mich neidisch werden – so einen Text hätte ich auch mal gerne geschrieben, vielleicht gelingt mir das noch, ich hab ja noch ein paar Jahre vor mir. Das Schlagzeug bestimmt den „Flow“ und treibt leicht nach vorn, im Hintergrund perlt die Musik und das alles ist überhaupt nicht seicht sondern ganz im Gegenteil. Das hat Christoph Beyerlein wirklich schön aufgenommen und gemischt.
Krankenwagen
So einen Text wie „Krankenwagen“ habe ich vor 40 Jahren auch schon mal geschrieben und mir dann gesagt, dass er richtig schlecht ist. Bis heute hab ich den Text nicht überarbeitet und das Blatt Papier liegt immer noch in meinem Pappkartontresor. Aber jetzt, wo ich diesen Song höre, könnte ich die Kiste noch mal danach absuchen. Vielleicht funktioniert der Text mit einer entsprechenden Musik doch ganz gut, wer weiß?
Shiva – wir fangen nochmal von vorn an…
„Shiva“ ist mit acht Minuten das längste Stück des Albums. Die Musik flötet, die Percussion rollt, die Felle werden gestreichelt und geklöppelt, der Bass strauchelt und irgendwas trötet und heult leise. Wer’s mag. Mir sind das insgesamt acht Minuten verschenkter Raum. Gut, die Story hat Charme mit einem „Was wäre, wenn?“ Gefühl, ist aber nach zwei Minuten bereits abgehakt. Ich kenne das Problem, man schreibt einfach immer weiter, die Wörter sprudeln und am Ende ist man nicht bereit, ein einziges Wort wegzulassen. Aber hier wäre weniger mehr gewesen. Oder aber Matthias Keul und sein E-Piano hätten hier das Solo gespielt, dass sie leider bei „Leise“ vergessen haben.
Fazit zu Blütenduft
Wie auch schon „Party Time“ geht es im letzten Song „Verkacken mit Verstand“ ums Saufen. Götz steht dazu und findet es gut. Ich habe es gehasst, jeden Sonntag meinen besoffenen Vater aus der Kneipe nach Hause holen zu müssen. Egal, mein Vater hat mittlerweile von Shiva einen neuen Job zugewiesen bekommen, entweder als Psychotherapeut für Drogensüchtige oder zur Strafe als Mettigel. Wer weiß das schon?
Und hier kommt auch noch das große Lob für deutschsprachige Texte. Hört gut zu, ihr deutschen Musiker da draußen! Wie vermessen muß man sein, wenn man glaubt, in einer Fremdsprache (die nicht die Muttersprache ist) glaubhafte Songtexte zu verfassen. Ich schäme mich jedesmal, wenn ich versuche, englische Texte zu schreiben. Das kann einfach nicht gut gehen, da fehlt mir einfach der Zugang zur „urban language“. Also lasse ich die Finger davon und mache das genauso wie der Götz. Danke dafür.
Götz Widmann gelingt es nicht immer, die Qualität der Songs durchzuhalten. Aber im Ganzen gehört, macht das Album Spaß. Götz Widmann sollte allerdings weniger saufen und mehr leise Funken sprühen lassen.
Tracklist
- Party Time
- Grosskonzern
- Romi
- Trinkerdisneyland
- Leise
- Funke
- Krankenwagen
- Du
- Shiva
- Verkacken mit Verstand
Links
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