Donnerstag, der 19. Juli 1979, gegen 22:00 Uhr: Winfried Trenkler stellt in seiner Sendung „Rock on“ neue progressive (Rock-) Musik vor. Gerade hatte die Band Charlie ihr neues Album „Fight Dirty“ veröffentlicht und Trenkler spielt daraus erst „California“ und dann auch noch das Titelstück. Ich höre ganz genau hin. Und denke beim Outro von „Fight Dirty“, dass die Band ein wenig nach Pink Floyd klingt. Vor allem das wilde Saxophon-Solo am Ende des Stücks erinnert mich daran. Dann kommt die Ansage, dass er nun zum Ende hin auch noch einen Song aus dem ersten Charlie-Album „Fantasy Girls“ auflegen würde, nämlich „Johnny Hold Back“. Er bezeichnet die Band dabei als die „Über-Journey“. Am nächsten Tag kaufe ich mir das Album in einer Einkaufspassage auf der Schadow-Strasse in Düsseldorf. Der Plattenladen liegt im ersten Stock und heißt: Rock on.
„Fight Dirty“ war bereits das vierte Album der Band. In den nächsten Tagen besorgte ich mir natürlich auch die älteren Scheiben. Bis etwa 1985 wurde sieben Alben veröffentlicht. Dann war erst einmal 25 Jahre lang Ruhe, bis es 2009 wieder ein Lebenszeichen von Charlie gab. Der Chef der Band, Terry Thomas, brachte in Eigenregie das Album „Kitchen of distinction“ auf den Markt, knapp sechs Jahre später war dann mit „Elysium“ Schluss mit Lustig. Terry schrieb auf der Webpage der Band, dass er von diesem Album bislang nur 432 CDs absetzen konnte, damit wären die Produktionskosten nicht gedeckt und er sähe keinen Sinn mehr darin, neues Material auf den Markt zu bringen. Grund genug für mich, hier noch einmal alle Alben in kurzen Reviews vorzustellen.
Fantasy Girls (1976)
Gab es vorher schon ein, zwei Singles der Band, die leider wenig bis gar nicht erfolgreich waren, durfte Charlie nun mit „Fantasy Girls“ ihr erstes Album auf den Markt bringen. Gleich das Intro des Openers zeigte, wo es langgehen würde. Eine etwas verzerrte Gitarre, dann eine zweite Gitarre, ein paar Bläser, die als solche kaum wahrgenommen werden und dann auch noch die markante und quengelnde Stimme von Terry Thomas, der über sein liebstes Thema singt: Girls. In allen Varianten. Und auch auf fast allen Covern zu sehen: Pin-up-Girls, die entweder an den neuen Pirelli-Kalender oder auch an die Titelseiten des Playboy-Magazin erinnern. Das war das Markenzeichen von Charlie – die Frauen auf dem Albumcover waren allesamt schön und natürlich aus Männersicht begehrenswert. Ich dagegen legte mehr Wert auf die Musik – was natürlich nicht ganz stimmt.
Fantasy Girls
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Die Songs sind aus einem Guss, alles relativ straight und nach vorn gehend. In den Texten klingt Sozialkritik an und Terry Thomas liebstes Thema, nämlich das Fernsehprogramm, kommt auch auf den nächsten Alben immer wieder vor. Auch die Balladen sind abwechslungsreich und beinhalten manchmal einen Twist, einen Break oder ein schnelles Interlude. Das Schlagzeug-Intro von „Greatcoat Guru“ erinnert an „Don’t let me down“ vom Electric Light Orchestra und dabei ist dieses Album etwa 4 Jahre älter. Und interessant: „Don’t let me down“ heißt ebenfalls ein Stück auf diesem Album. Wahrscheinlich Zufall.
Prisoners
Bevor der „First Class Traveller“ die erste Vinyl-Seite abrundet, gehen wir mit „Prisoners“ ins Gefängnis. Das Stück ist mit sechs Minuten keine einzige Sekunde zu lang. Und jede einzelne gezupfte Saite auf der E-Gitarre klingt ganz besonders schön verzerrt, wenn man weiß, dass ja noch die Steigerung im zweiten Teil des Songs folgt.
It’s Your Life
Hervorzuheben sind aus meiner Sicht „It’s Your Life“ mit einem tollen Gitarreneinstieg, bei der man die Finger über die Saiten rutschen hört und natürlich „Summer romances“, in dem Terry Thomas seine Liebschaften aufzählt:
„I never knew the girl could be so nasty and so cruel
I never thought that I could be such a fool, such a fool“
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Mehr InformationenDem ist nichts hinzuzufügen. Auch hier gibt es einen schnellen und langsamen Teil. Und der Song hört dann wie auch das Album auf den Punkt auf. Großartig.
No Second Chance (1977)
Müsste ich mich wirklich für ein Album von Charlie für die einsame Insel entscheiden, ich würde wahrscheinlich „No Second Chance“ wählen. Das habe ich auch in 2020 in einer unserer ersten Plattenkritiken so geschrieben. Im Netz berichtet jemand darüber, dass es sieben Alben auf mindestens fünf verschiedenen Plattenlabel geben würde. Auch das zweite Album der Band hat verschiedene Cover und auch verschiedene Tracklisten. Ich beziehe mich hier auf die deutsche Fassung und die startet mit dem Titelstück „Yeah, one two three four…“
No Second Chance
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Das Gitarrenintro ist ähnlich wie schon bei „Fantasy Girls“, allerdings kommt bereits nach der ersten Strophe ein zärtlich getupftes E-Piano zum Einsatz. Der Refrain sei euch besonders ans Herz gelegt, verdreifacht Terry Thomas doch seine Stimme zum typischen Charlie-Background-Gesang, den man immer wieder erkennen würde. Auch hier sind es ein paar Bläser, die im Hintergrund das Stück nach Hause bringen.
Das Must-Have-Album
Im zweiten Stück werden wir aufgefordert, nicht zurückzuschauen. Machen wir aber trotzdem, handelt es sich doch hierbei um einen typischen Charlie-Groove. Die Gitarre fängt an und der Satzgesang übernimmt und singt „Don’t look back“. Die ruhige Ballade lässt viel Raum für schöne Gitarrenmelodien und gerade dies hat mir bei der Band immer gut gefallen. Danach geht es mit „Pressure Point“ weiter, das zwar etwas abfällt aber beileibe kein Füllerstück ist. „Turning To You“ nimmt bereits den Sound des kommenden dritten Albums vorweg und klingt nach Yachtrock, eben typisch für das Jahr 1976. Mit „Thirteen“ wird die erste Vinylseite abgeschlossen. Im Hintergrund spielt ein Piano die Harmonien und Terry veredelt das Ganze mit verschiedenen Gitarrenlicks. Die dichten Vocals sind bis heute faszinierend. Das Stück handelt von der Tragik einer jungen Frau, die bereits mit dreizehn den „Mann ihres Lebens“ trifft und genau dieses wegwirft.
Lovers
Die ganze B-Seite des Albums ist musikalisch vollendet und man darf gerne den Plattenspieler auf Wiederholung stellen, damit man die Songs immer wieder hören kann. Los geht es mit „Lovers“, bis heute das Stück, dass ich als erstes meinen Freunden vorspielen würde, um ihnen die Band vorzustellen. Nach einem kurzen Piano-Intro kommt Terrys Stimme dazu, dann kurze Pause und der Chor setzt ein. Atemberaubend schön ist das Ganze. Und dann geht die Post ab. Das Schlagzeug spielt die Eins und dann wieder auch nicht. Irgendwann gibt es einen kurze Percussion-Teil und die ganze Seite wird der Text vom Chor gesungen. Dann gibt es noch ein dramatisches Outro und nach sechs Minuten bin ich fertig und möchte das Stück noch einmal hören. Das geht aber nicht, denn direkt im Anschluss folgt das bereits oben erwähnte und von Winfried Trenkler favorisierte
Johnny Hold Back
„I said „Johnny hold back, pull your reins in back track!“
Alright, „Johnny hold back, ‚cause your future looks black!“
Das Stück hat bis heute Hit-Potential und auch hier kommen ein paar Bläser zum Einsatz. Der bereits erwähnte Chor-Gesang und zwei prägnante Gitarrensoli veredeln den Song. Bevor wir zum Ende des Albums kommen lässt uns „Love Is Alright“ noch einmal kurz durchatmen. Das E-Piano kommt noch einmal zum Einsatz, der Bass drückt uns den Sound der siebziger Jahre aufs Auge und die Gitarren perlen aus den Lautsprechern.
Zum Abschluss kommt der „Guitar Hero“ um die Ecke und erzählt uns vom Leben auf der Tour. Merchandising in der Halle, Fan-Material am Stand, das neue Live-Album und was die Plattenfirma noch alles so macht, um mit einem Rock-Star Geld, viel Geld zu verdienen:
„Guitar Hero „Guitar hero’s up on the stand, stands out front of the rest of his band
He counts to four and his band starts to roar, oh yeah…“
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Mehr InformationenDas Stück dauert sieben Minuten, beginnt mit dem obligatorischen Jubel, wenn das Hallenlicht ausgeschaltet wird. Ein paar Flageolett-Töne auf der Gitarre bleiben im Ohr hängen und die Gesangsmelodie ist eingängig und betörend. Ein absolut würdevoller Abschluss eines sehr guten Albums.
Lines (1978)
Mit dem dritten Album schielte die Band nach den Vereinigten Staaten, und da natürlich ganz besonders zur Westküste. Der Sound klang authentisch und amerikanisch – genau das, was Terry Thomas beabsichtigt hatte. Der Opener „She Loves To Be In Love“ war die erste Single und ein eher kleinerer Hit. Egal, die Trademarks waren alle da: Der Satzgesang, die Gitarrenlinien und das ikonische Cover. Und auch die Texte handeln wieder einmal vom allgegenwärtigen Fernsehen und seinen Stars, die uns die heile Welt vorgaukeln:
„Watching T.V. – the American shows
Watching T.V. – with those super heroes“
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Mehr InformationenUnd danach zählt Terry all seine Lieblingssendungen auf: Starsky & Hutch, Charlie’s Angel, Star Trek und noch ein paar weitere Serien der siebziger Jahre. Klar möchte er genauso stark sein wie Steve Austin, der Millionen-Dollar-Mann.
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West Coast Sound
„Out of Control“ hat diesen treibenden Bass und die unisono gespielten Double-Lead-Gitarren, die man auch von Wishbone Ash kennt. Und die Kommentare, die bei YouTube zu diesem Song zu finden sind, verweisen auch auf den „West Coast Sound“, den die eigentlich britische Band zu diesem Zeitpunkt bereits verinnerlicht hatte.
I Like Rock’n Roll
Die zweite Seite startet mit „LA Dreamer“ und erinnert mit seinem E-Piano-Sound ein wenig an „Riders On The Storm“ von den Doors. Und es wird endlich Zeit, dass ich die Band vorstelle. Neben Terry Thomas, der für fast alle Kompositionen zuständig war und ist, gibt es noch Julian Colbeck an den Keyboards, Steve Gadd am Schlagzeug, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen amerikanischen Schlagzeuger, der sich auf „Aja“ von Steely Dan verewigt hat. John Anderson spielt den Bass und Eugene Organ die zweite Gitarre.
Bei „No Strangers In Paradise“ mag ich vor allem den Schluss, das Stück wird ausgeblendet, man denkt, es ist Ende, dann wird der Regler urplötzlich hochgezogen und man bekommt noch ein paar Sekunden nachgeliefert. Überraschend. Danach folgt die Killerballade „Keep Me In Mind“, wiederum mit ein paar Flageolett-Tupfern und dem ruhigen Background-Gesang versehen.
Der Rauswerfer des Albums heißt „I Like Rock’n Roll“ und genau das bekommen wir auch zu hören. Nicht mein liebstes Album der Band, aber immer noch um Längen besser, als alles, was uns heute im Radio vorgespielt wird.
Fight Dirty (1979)
Vor kurzem feierte meine Cousine Inga ihren 60. Geburtstag und ich habe mich endlich bei ihr dafür entschuldigt, dass ich ihr vor 40 Jahren aus ihrem „Fight Dirty“-Album das Beiblatt geklaut habe. Ich hatte ihr das Album vorgespielt und sie hat sich danach die Platte ebenfalls zugelegt, allerdings mit allen Texten.
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In einem Artikel im damaligen Musikexpress stand, dass die Band zum ersten Male echte Streicher einsetzen durfte. Ein größeres Budget sorgte auch für ein teures Gatefold-Cover, wiederum mit einer jungen Dame, die ein böses Spiel mit dem Herren spielt, der im Hintergrund auf der Bettkante sitzt und telefoniert.
Die deutsche Fassung des Albums startet mit „California“, in dem Terry Thomas klar macht, dass er sich von Kalifornien einerseits betrogen fühlt, andererseits aber auch angezogen wird:
„You showed me the worst of your sides
But all that I’d seen was that town full of dreams“
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Mehr InformationenUnd schon bei diesem Stück ist der prägnante Charlie-Sound spürbar greifbar, die Gitarre zerrt, der Bass spielt Melodien und der Chor-Gesang ist über jeden Zweifel erhaben.
Die Über-Journey
Danach überfällt uns das Titelstück und wie bereits oben erwähnt, beeindruckt mich das Saxophone am Ende bis heute. Auch die harten Saitenklänge am Ende erinnern mich an den metallischen Sound, den auch David Gilmour bei Pink Floyd so spielte. Vergleich kann man die beiden Gruppen keinesfalls, aber trotzdem. Und auch der Text hat uns Wahres zu berichten:
„Gonna learn to fight dirty, ain’t no-one gonna hurt me
I’ll soon know every trick of the trade“
Ich möchte gar nicht die einzelnen Stück hervorheben – das Album ist aus einem Guss. Natürlich ist der „Killer Cut“ das Highlight des Albums. Als Single nur halb solange, stellt uns das Album aber die kompletten sechs Minuten mit mehreren Gitarrensoli zur Verfügung. Man muss nur einen Killersong ins Radio bringen und man rockt die ganze Welt. Und steinreich wird man auch. Hat damals nicht geklappt, wer danach sucht, findet bei YouTube noch das Video aus der Pre-MTV-Zeit.
Zum ersten Mal werden Streicher eingesetzt
Die Streicher wurden von Julian Colbeck arrangiert und mit „Too Late“ beendet die Band dieses Album. Damals glaubte man an den großen bevorstehenden Durchbruch, doch die Plattenfirma ließ die Band hängen und es gab eine zweijährige Plattenpause, bevor „Good Morning America“ erschien. Das zwischenzeitlich eingespielte Album „Here Comes Trouble“ lag erst einmal auf Eis. Wir machen trotzdem in chronologischer Reihenfolge weiter.
Here Comes Trouble (1980)
Dieses Album zeigt aus meiner Sicht das schönster Cover aller Charlie-Alben. Die Dame auf dem Boot ist für mich ein Sinnbild für amerikanische Dekadenz und verspricht, wie der Titel schon sagt, jede Menge Ärger. Das Arista-Label wollte das Ding nicht ohne neue Songs veröffentlichen, schreibt Terry Thomas 2015 in den Liner-Notes von „Elysium“. Leider sagt er nicht, was er mit neuen Songs meint, denn die Songs auf diesem Album waren ausgesprochen gut.
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Eröffnet wird das Album mit „Jealous“, einem energetischem Song, der sofort ins Ohr geht. Die quengelnden Keys am Anfang, die treibenden Drums und auch die quietschenden Gitarren lassen mich fassungslos zurück. Was hatte das Arista-Label sich nur dabei gedacht, das Album zurückzuhalten. Sämtliche Stücke des Albums haben ein hohes Niveau und sind in gleichbleibender hoher Qualität.
Für die CD-Fassung wurde „Five Years“ um eine Strophe gekürzt, deshalb sollte man sehen, dass man die Vinyl-Fassung irgendwo auftreibt. „Writing On The Wall“ hat eine schönes kurzes Piano-Intro und die Stimme von Terry Thomas hat einfach eine hohen Wiedererkennungswert. Bei „Literary Love“ kommt auch das Fender-Rhodes nicht zu kurz und das Keyboard-Riff am Ende des Songs ist einfach göttlich. So klingen für mich die frühen achtziger Jahre.
Take The Money
Wir drehen die Scheibe um nehmen erstmal das Geld. „Take The Money“ ist die Single, die Charlie zu Stars hätte machen können. Ohne Promotion lief da leider nichts. Bis heute versuche ich den Text rauszuhören, zu gern würde ich verstehen, wie man am besten das Geld nimmt und sich davon macht. Der Song ist einfach gut und blieb leider erfolglos.
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Mehr InformationenUnd noch einmal frage ich mich, was Clive Davis, der Arista-Manager, sich dabei gedacht hat, die Band ins Leere laufen zu lassen. Hätte er sich doch nur Songs wie „Don’t Stand In My Way“ odder auch „Only Dreaming“ angehört. Er hatte doch ein paar Jahre vorher den richtigen Riecher gehabt, und die Kinks wieder auf die Schiene gesetzt. Das Album wird mit einem meiner Lieblingsstücke ever beendet, nänlich „Zero“. Das hymnenhafte Stück drängelt mit einer unsterblichen Melodie nach vorne, die Drums sind toll arrangiert, die Keyboards geben dem Gesang einen tollen Background, das Piano hämmert sich durch die hohen Töne und das Gitarrensolo passt ganz genau. Was für eine Ende für ein Album!
Good Morning America (1981)
Nach zweijähriger Pause und einem Kurzzeit-Labelwechsel zu RCA machte Terry Thomas mit ein paar neuen Musikern weiter. Leise tickt der Wecker bis er klingelt und los geht es mit „Good Morning America“, aufgenommen in England, wiederum ein Ohrwurm par excellence. Und wie schon öfters erwähnt, spart Terry nicht mit Konsumkritik:
„Good morning America, one more commercial break,
We’ll tell you what you need to keep your body in shape
Good morning America, we hope you’re feeling well
We hope you watch all day, we’ve got a lot to sell“
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Mehr InformationenAlle Alben von Charlie haben hervorragende und konzise Songs, das gilt mit ein paar Ausnahmen auch für „Good Morning America“. Aber leider werden auf diesem Album zum ersten Mal die Songs nicht nur von Terry Thomas sondern von einem weiteren Sänger gesungen. John Verity darf zum Beispiel „Heading For Home“ singen und es sind die Stimmen im Chorus, die daraus einen Charlie-Song machen. Terry Thomas ließ sich tragischerweise dazu überreden, weil man eben nicht mehr an den Erfolg von Charlie glaube wollte. Das folgende „Saturday Night“ wurde ebenfalls von John Verity gesungen und auch nicht von Terry geschrieben.
All My Love
Die zweite Vinylseite startet wieder mit einem Thomas-Song und der „All My Love“ kommt klasse rüber, obwohl Terry nur die zweite Stimme singt. Und dann kommt die Ballade „Fool For Your Love“ und man kann nur den Kopf darüber schütteln, warum man den Leadsänger nicht alle Songs hat singen lassen. Während Terry Thomas mit seinem Gesang den Song startet, übernimmt unerklärlicherweise John Verity den Refrain. Es ist schon ein deutlicher Unterschied zu hören. Aber…es waren die achtziger Jahre, Bands wie Journey und Foreigner etablierten den AOR und vielleicht wollte man eben so ähnlich klingen wie Steve Perry.
Good Morning America
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Gottseidank übernimmt Terry Thomas bei „Perfect Lover“ wieder den Leadgesang und John Anderson slapt den Bass. Dann gibt es einen schönen Mittelteil mit einem „Oh la la“ – Backgroundchor und überhaupt ist es ein guter Song. Danach ist etwas die Luft raus und wir klappen das Label-Kapitel bei RCA zu.
Charlie (1983)
Erneuter Wechsel im Management und erneuter Label-Wechsel. Es geht bei Atlantic weitert und auch hier schlug man einen Wechsel beim Leadgesang vor. Die Songs sollten von Terry Slesser gesungen werden, ein erneutes Zugeständnis an den Zeitgeschmack. Terry spielte leider mit und deshalb hören wir ihn auf diesem Album nur ein einziges Mal bei „You’re Everything I Need“.
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Mehr InformationenUnd auch nur wegen diesem Song höre ich mir immer wieder fassungslos das Album an. Alle Stück sind typisch für ihre Zeit. Halliges Schlagzeug, viele Keyboard-Sounds, zum Glück noch ein paar schöne Gitarrenlicks. Der Background-Gesang erinnert uns meistens aber nicht immer daran, wie gut Charlie doch waren. Die Hitsingle des Albums war der Opener „It’s Inevitable“ – es ist oder es war eben unvermeidlich.
Charlie
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War das wirklich „unvermeidlich“?
„You’re Everything I Need“ lässt uns erahnen, wie das Album geklungen hätte, wenn Terry alle Songs gesungen hätte. Das Stück zerfällt in zwei Teile. Zuerst darf Terry Slesser singen und erst ab Minute 03:35 gibt es den langersehnten Break und Terry Thomas übernimmt das Mikrophon. Welch ein Unterschied. Und genau dieser eine Song ist es, der dieses Album bis heute wie einen Edelstein glänzen lässt. Das Gitarrensolo am Ende lässt mich mit tränenden Augen zurück und ich hebe an dieser Stelle immer die Nadel hoch, noch bevor das Album zu Ende ist. War es wirklich nötig, dem Management zu folgen und die Gesangsstimme durch eine andere zu ersetzen. Heute wissen wir, wie unglaublich austauschbar der Adult Oriented Rock (AOR) war. Tausende Bands sangen mit einer theatralischen Stimme schlechte Songs und leider machte Terry dabei mit. Man höre sich nur das Tommy Shaw Album „Ambition“ an. Seelenloser geht’s kaum.
In Persuit Of Romance (1985)
„Ich hatte noch einen Vertrag für ein letztes Album mit einem abscheulichen Cover. Doch das Sub-Label Mirage wurde von Atlantic kurz vor der Veröffentlichung geschlossen. Damit war Charlies Karriere zu Ende“ schreibt Terry Thomas in den Liner Notes von „Elysium“.
In Persuit Of Romance
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Das Album ist aus meiner Sicht eine Ansammlung von eher schlechten Songs, der Klang ist miserabel und bis auf Terry ist niemand von der alten Band an Bord. Ich habe gerade noch einmal in das Album, dass ich nur auf CD habe, reingehört. Vielleicht liegt es einfach nur am dumpfen Klang, denn „Swimming In A Secret Sea“ ist gar nicht so schlecht. Aber die Produktion ist einfach nur unterirdisch. Das war es dann wohl mit Charlie.
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Mehr InformationenDer Schlussakkord
Terry Thomas machte danach weiter und schrieb komplette Alben für Foreigner und für Bad Company, auch für Tommy Shaw von Styx schrieb er Songs. Zudem übernahm er die Produktion der Alben. Wenn man sich diese Platten heute anhört, wundert man sich wie oben bereits erwähnt über die unglaublich schlechte Qualität der Songs. Der gute Klang lenkt ein wenig ab, doch die Lieder sind überwiegend eintönig und bleiben nicht hängen. Dann dauerte es bis 2009, bis ich zufällig bei einer Internet-Suche auf meine musikalische Nachricht des Jahres stieß: Es gibt ein neues Charlie-Album. Und es gibt auch schon den Titelsong bei YouTube zu hören.
Kitchen of distinction (2009)
Terry Thomas war nie ganz aus dem Geschäft, als er darauf angesprochen wurde, das es im Netz viele Nachfragen nach neuer Musik von Charlie gibt. Er lud Julian Colbeck und Martin Smith ein, doch auf Stücken, die er bereits eingespielt hatte, noch etwas beizutragen. Und daraus ergab sich das neue Album „Kitchen of distinction“. In einem Interview räumte Thomas ein, dass er sich immer noch mit dem Einfluss des Fernsehens auf die Gesellschaft befasste. Vor allem die Reality Shows und deren sogenannten „Stars“ hatten es ihm angetan. Viele dieser C-Promis wurden und werden von den Medien ausgebeutet, ohne dass sie es merken. Auch Verkaufssender kommen auf dem Album nicht gut weg. Die Musik ist deutlich härter, lauter und geht mehr in Richtung Heavy Metal ohne allerdings den Melodienreichtum zu vernachlässigen.
Kitchen of distinction
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Der Neuanfang
Der Einstieg ins neue Album ist ungewohnt heftig und laut. „Get A Life“ heißt das Eröffnungsstück und führt uns direkt vor Augen, was es für Menschen bedeutet, wenn sie eben bedeutungslos sind. Sie wollen gesehen werden, auch wenn das heißt, dass man sie der Lächerlichkeit preis gibt.
Der Titelsong des Albums kommt leichtfüßig daher und verkauft uns „Küchen der Extraklasse“:
„Sell me a kitchen of distinction
sell me a car with too much speed
sell me a debt to last a lifetime
it’s what I need, it’s what I need“
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Mehr InformationenUnd ab diesem Stück, genau nach diesem zweiten Stück war es mir völlig egal, wie der Rest des Albums ist. Darauf hatte ich 25 Jahre lang gewartet. Die Stimme war da, der Gitarrensound, der mehrstimmige Chorus. Ein Moment, als ob John Lennon wieder da wäre.
Das Album strotzt nur so vor guten Songs, technisch auf der Höhe der Zeit, transparent abgemischt und vor allem laut. Das Solo am Ende von „Kitchen of distinction“ ist über alle Zweifel erhaben und zeigt auf, wie gut Thomas Gitarre spielen kann.
Don’t Let Go
Zwei weitere Stücke möchte ich herausstellen. „Don’t Let Go“ gab es schon als Demo auf den Rennaisance-CDs von 1998 in einer etwas anderen Fassung zu hören. In der neuen Fassung dauert es bis zum Ende, bis genau dieses Liedzeile gesungen wird. Und in den ganzen sechs Minuten , die der Song dauert, wird konstant das Tempo angezogen. Am Schlagzeug ist Steve Alexander zu hören und der Drumsound klingt umwerfend.
Und dann ist da noch „West Coast Thing“. In diesem Song kritisiert Thomas den Ernährungsstil und den Schönheitswahn der Menschen, der immer mehr Einzug in unsere Gesellschaft hält. Wie kann es sein, dass die Menschen Magersucht um jeden Preis in Kauf nehmen, auch wenn sie dabei am Ende ihren Löffel abgeben?
„Nicole Ritchie the size zero
Keira Knightly all skin and bones
Lindsey Lohan an embryo way to go“
Und auch hier gibt es den lang vermissten typischen Charlie-Background-Gesang. Und Julian Colbeck spielt dazu das Fender-Rhodes. Das Album gibt es nur auf CD und wurde 2019 noch einmal mit elf zusätzlichen Outtakes auf den Markt geworfen.
Elysium (2015)
Das bislang und auch vermutlich letzte Album von Charlie heißt „Elysium“ und ist wiederum nur auf CD veröffentlicht worden. Gewidmet ist das Album dem ehemaligen Drummer der Band, Steve Gadd. Auch wieder an Bord sind Julian Colbeck, Martin Smith und auch Steve Alexander.
Elysium
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Der Sound bleibt hart und laut und geht mit „YouTube Girl“ direkt in die Vollen. Für mich bleibt es erneut rätselhaft, warum so ein Song nicht im Radio gespielt wird. Die Themen sind gleich geblieben, Thomas führt im Beiblatt aus, dass er sich bei diesem Album noch freier und ungebundener gefühlt hat, was das Texten angeht. Er prangert weiterhin den gesellschaftlichen Umgang untereinander an und kritisiert dabei auch die Menschen, die dabei mitmachen, etwa Sternchen wie Kerry Katona im gleichnamigen Song.
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Mehr InformationenDas letzte Album?
Höhepunkt des Albums ist neben „YouTube Girl“ das achtminütige „Abandon Ship“ und leider finden sich im Beiblatt keine Texte der Songs. Stattdessen wirft Terry Thomas einen Blick auf die komplette Bandgeschichte und lässt uns am Ende im Unklaren, ob es noch ein weiteres Album geben wird.
Alles in allem begleitet mich Charlie nun schon 45 Jahre, eine verdammt lange Zeit, wie ich finde. Die ersten sechs Alben gehören aus meiner Sicht in jede Plattensammlung, natürlich als Vinyl. Und auch die beiden letzten CDs sind außergwöhnlich und sehr hörenswert. Der härtere Stil in Richtung Heavy Rock zeigt, dass auch ältere Herren noch in der Lage sind, Krach zu machen.
Zurück zum Anfang…
Hab ich etwas vergessen? Vielleicht sollte ich noch kurz „The Fabulous Lampshades“ erwähnen, mit denen Terry 2013 Konzerte gegeben hat. Es gibt ein paar Clips im Netz. Und 2014 spielten Charlie einen Memorial Gig zu Ehren ihres verstorbenen Drummers Steve Gadd. Auch diese kleine Konzert findet sich im Netz. Und obwohl die Soundqualität nicht die beste ist, zeigt der Auftritt, dass die alten Herren immer noch in der Lage sind, die Songs genauso rüberzubringen, als wären sie 40 Jahre jünger. Bei diesem Gedenkkonzert spielten sie „Prisoners“, „Fantasy girls“,“ „Johnny hold back“ und zum guten Schluß auch noch „Summer romances“, allesamt Stücke vom ersten Album. Dann sind wir wieder da, wo wir angefangen haben…
Nachtrag
2024 wurde eine „Anthology“ veröffentlicht, als CD und auch als Vinyl (farbig) erhältlich. Kritiker schreiben, dass es einen guten Überblick über das Gesamtwerk geben würde. Wenn ich mir allerdings das Tracklisting anschaue, habe ich da so meine Zweifel. Aus meiner Sicht fehlen dort einige essentielle Tracks, zum Beispiel „Summer Romance“ oder auch „Guitar Hero“. Ich empfehle weiterhin als Einstieg „No Second Chance“.
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