Band on the run – Paul McCartney & Wings

Was kann man über „Band on the run“ von Paul McCartney schreiben, was bislang noch niemand anderes geschrieben hat? Dieses Jahr ist es 50 Jahre her, seit die Platte erschienen ist. Gekauft habe ich mir das Album 1975 oder 1976, da bin ich mir nicht mehr so ganz sicher. Möglicherweise war es auch das Nachfolgealbum „Venus & Mars“, das ich zuerst besaß. Meine erste Begegnung mit McCartney fand noch vor den Beatles statt. Meine Mutter besorgte mir im Februar 1974 über eine Bekannte die zweite Singleauskopplung aus dem Album, nämlich „Jet“. Damals hatte ich noch kein Interesse an Langspielplatten (außer vielleicht Hörspiele). Und meine Single-Sammlung war noch ziemlich dürftig, da waren gerade mal die Rubettes und Suzi Quatro dabei. Nun also dieser merkwürdige Name der Band „Paul McCartney & Wings“. Ich hatte keine Ahnung, wer die waren. Aber den gebrüllten Refrain „Jet“, den konnte ich fehlerfrei mitsingen.

Paul McCartney auf der Flucht

Ich kann Paul McCartneys Beraterstab nicht verstehe, ich nehme an, er hat keinen. Warum sagt ihm keiner die Meinung zu seinen sehr schwachen Wiederveröffentlichungen. Ich brauche keine Doppel-CDs der alten Platten, auf denen kaum etwas Neues zu hören ist. Auch keine vierte oder sechste „Greatest Hits“-Sammlung oder, ganz aktuell, alle Singles auf Vinyl in einer Holzbox. Was ich möchte, ist das was Yoko Ono mit John Lennons Werk gerade macht. Die Deluxe-Ausgaben von „Imagine“ oder auch „Plastic Ono Band“ enthalten fast sämtliche Demos der Aufnahmesessions sowie das Original-Album in hochauflösender Qualität auf Blu-ray. Teilweise in neuen Mixen, die sogar Ungehörtes ans Tageslicht bringen. Währenddessen brachte McCartney „Band on the run“ vor 25 Jahren lediglich mit einer zusätzlich CD auf den Markt , die belangloses Zeug enthielt. Und 2010 gab es erneut alten Wein in alten Schläuchen. Und dies hat er mit sämtlichen Alben danach ebenso gemacht (einzige Ausnahme „Flowers in the dirt“). Zwar waren die Platten remastered und hatte ein paar Extra-Stücke an Bord, aber sonst: Fehlanzeige.

50 Jahre Band on the run

Nun also die erneute Chance – die Platte wird 50! Da sollte doch was gehen. Bevor was geht, schildere ich kurz meine Höreindrücke, die ich in den letzten 47 Jahren sammeln durfte. Das Album beginnt stark mit einem Gitarrenintro. Schlagzeug und Keyboard setzen direkt ein – der Sound war damals schon großartig klar und transparent. Das erste Break führt zum zweiten Teil des Stücks, Handclapping und der Mini-Moog spielen auf. Dann der Text „If I ever get out of here“, ein Zitat von George Harrison. Und hinter dem Gesang liegt eine weitere kleine und feine Gitarrenlinie. Das zweite Break: Orchester setzt ein, Übergang in den Hauptteil von „Band on the run“. Die Orchestrierung übernahm diesmal nicht George Martin, sondern Tony Visconti, der schon mit David Bowie gearbeitet hatte. Wie gerne hätte ich hierzu die „Work in progress“-Aufnahmen gehört.

Jet

War es ein Hundewelpe oder doch ein Pony? Oder sang McCartney hier über seinen Schwiegervater. Ich glaube, dass er im zweiten Song des Albums einfach nur wunderbare Wörter auf irgendeine Weise im Text unterbringen wollte. Völlig egal, ob das Ganze irgendeinen Sinn ergibt, solange es gut klingt. „Jet“ war zweite große Hit des Albums und kam in Deutschland auf Platz 6.

Mit „Bluebird“ ruhen wir uns etwas aus und genießen den präzise gespielten Bass, der anschließend besonders leicht und federnd die erste Singleauskopplung „Mrs Vandebilt“ begleitet. Und dann folgt endlich die große Abrechnung mit John Lennon. Auf „Let me roll it“, übrigens ein Zitat aus dem Song „I’d have you anytime“ von George Harrison, ahmt McCartney den Gesang von Lennon nach eigener Aussage eher unabsichtlich nach. Auch hier ist der Bass erneut dominant, aber auch die leichte Orgel-Begleitung von Linda kommt auf den Punkt.

Zeit, das Album umzudrehen, wenn man die Vinylausgabe besitzt. Mit „Mamunia“ ist ein Hotel in Marakesch, in dem die McCartneys auf einer Reise durch Marokko übernachteten. Das Stück wird von Paul, Linda McCartney und Danny Laine gesungen und wird begleitet von akustischen Instrumenten. Und auch wenn einige es nicht wahrhaben möchten, im Dreiklang mit den anderen Stimmen klingt Lindas Stimme genau richtig. Das gilt übrigens für das ganze Album. Und auch der Mini-Moog erfüllt seinen Zweck und läßt das Stück melodiös ausklingen.

Drink to me, drink to my health

Auf „No words“, dem einzigen mit Denny Laine gemeinsam geschriebenen Song auf diesem Album, teilen sich Paul und Denny den Leadgesang. Danach folgt eine weiterer Höhepunkt des Albums, nämlich „Picasso’s last words“, den McCartney nach besonderer Aufforderung durch den Schauspieler Dustin Hoffman bei einem Abendessen spontan improvisierte. Hoffman forderte McCartney auf, auf der Stelle einen Song zu schreiben. In einer Zeitung standen die letzten berühmten Worte von Pablo Picasso und McCartney übernahm genau diesen Text. Auf der Studioaufnahme werden im Song noch einmal verschiedene Songs des Album noch einmal kurz zitiert. Dann folgt das ganz wunderbare und fulminante „Nineteen hundred and eighty five“, mit dem das Orchester und die Band gemeinsam dieses Jahrhundertalbum grandios abschließen.

Band on the run – ein Jahrhundertalbum

Paul McCartney brauchte bei den Kritikern mehrere Jahre, um als Musiker und als Komponist wieder gewürdigt zu werden. Und dieses Album brachte ihn auch zurück in die Charts – und das weltweit. Noch heute gilt die Platte als bestes Album der Post-Beatles-Phase. Geschafft – ich habe kein Wort über Lagos verloren. Oder über gestohlene Demo-Aufnahmen und was es sonst noch alles im Zusammenhang mit diesem Album zu berichten gäbe.


*Werbehinweis für Links: Es handelt sich um einen sog. Affiliate-Link, das heißt, wenn auf der verlinkten Website etwas eingekauft wird, erhält der Betreiber von plattenkritik.com eine Provision. Das hat keinen Einfluss darauf, wie eine Schallplatte bewertet wird.