Lieder meines Lebens – Konstantin Wecker berührt und bewegt

Gestern Mittag habe ich den Briefträger an der Türe abgefangen und kurz mit ihm über das Wetter geplaudert, während er mir einen Briefumschlag überreichte. Ich wünschte ihm noch einen schönen Samstag, schloss die Haustüre und öffnete auf dem Weg in die Küche den Umschlag. Von außen konnte ich schon fühlen, dass es sich um eine CD handeln muss und richtig! Das neue Live-Album „Lieder meines Lebens“ von Konstantin Wecker wartete auf eine hoffentlich gute Besprechung.

Wecker, mein Gott, nicht schon wieder der „Willy“, dachte ich. Ein Versuch, die Titelliste ohne oder mit Brille zu lesen, scheiterte. Und dann auch noch dunkelrote Schrift auf schwarzem Grund. Wer hatte sich das ausgedacht? Und dann auch noch eine Schriftgröße zu wählen, die die Menschen, die Wecker kennen, gar nicht mehr entziffern können. Alles Idioten, sagte ich zu meinem Sohn, der noch nie was von Konstantin Wecker gehört hatte. Also liebe Verpackungsmarketingkünstler, das Layout ist einfach Mist.

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Nachdem ich mich ans Schriftbild gewöhnt hatte, konnte ich erkennen, dass der „Willy“ nicht dabei war. Ich war erstaunt und ärgerte mich. Über mich selbst. Und meine Ignoranz. Ich habe mir genau zwei Platten von Wecker gekauft. Im Juli 1980 „Eine ganze Menge Leben“ und etwa 10 Jahre später „Stilles Glück, trautes Heim“. Vielleicht konnte ich (als Songtexter) seine brillanten Texte einfach nicht ertragen. Ich lege also nach etwa 35 Jahren das dritte Album „Lieder Meines Lebens“ von Wecker in den CD-Player und werde überrascht.

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Ich singe, weil ich ein Lied habe

Wecker eröffnet den Abend mit einem sechzig Jahre altem Song, bei dem er wohl zu nahe ans Mikro kommt, aber das macht ein authentisches Album aus. Und dann kommt die erste Ansage, mit der er mich als seltener Hörer seiner Musik, seiner Texte, für sich einnimmt. Er hört sich freimütig, selbstreflektiert und in sich ruhend an. Ich stoppe die CD, und überlege, ob ich ihn hier direkt zitieren soll. Über 600 Lieder hat er in seinem Leben geschrieben, für diesen Abend hat er die Songs ausgewählt, die ihn persönlich“weitergebracht und weitergeführt“ haben:

Meine Lieder waren immer klüger als ich.

Und alles was er hier sagt, möchte ich auch sagen können, leider fehlt mir das Talent dazu. Gut, dass Wecker es sagt. Wecker war immer ein Linker, ein Antifaschist und so einen können wir gerade jetzt wieder gebrauchen. Ich merke, wie nah er mir mit seinen Worten ist. Und Gottseidank war er immer „nur“ ein Künstler und kein Parteigänger. Und dann geht es mit dem zweiten Song weiter. „Den Parolen keine Chance“ singt er klaviergetrieben und mit rollendem „R“. Leider hören ihm die Falschen zu. Die Menschen, um die es hier geht, werden von ihm, von uns, nicht mehr abgeholt. Denn die haben ihre eigene Blase und fordern Rache, Mord und Totschlag.

Aber jetzt sind die Gespenster
wieder mal aus Fleisch und Blut
und es darf nicht mehr erwachen
was in ihnen drohend ruht!

Aber genazu das erwacht gerade da draußen und Wecker hat natürlich immer Recht (ein alter Song von ihm). Und es klingt ein wenig verzweifelt, wenn er weiter singt:

Lasst uns jetzt zusammen stehen
es bleibt nicht mehr so viel Zeit,
lasst uns lieben und besiegen
wir den Hass durch Zärtlichkeit

Wunschdenken? Egal, der Song ist jetzt und hier wichtig. Auch wichtig: Jo Barnickel begleitet Wecker nun schon seit über 30 Jahren am Keyboard und Klavier. Wecker erzählt nach der kurzen Vorstellung von seinen Erfahrungen als Vater und empfiehlt, von den Kindern zu lernen, statt sie zu „Christian Lindners“ zu erziehen.

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Wecker zitiert Gedichte, moderiert seine Songs, spielt sie und bleibt mit allem, was er sagt, wahrhaftig und relevant. Ich mag es gar nicht zitieren, aber bei Wecker ist das Private immer und zuallererst politisch, egal ob er uns ein Schlaflied für Kinder anbietet oder ob er sich kurz danach für die Liebe bedankt, die ihm beschert wurde.

Ans Herz

Dann spricht er über seine Eltern, dass sie keine Nazis waren, dass er mit ihnen darüber sprechen konnte. Sein Vater war anders, antiautoritär und aus allem, was Wecker hier erzählt, spricht auch seine Liebe für sie. Und warum fällt mir jetzt plötzlich Heinz Rudolf Kunze ein, der ja ein „ähnlicher“ Künstler ist und auch viele Worte auf seinen Konzerte macht und spricht? Der Unterschied ist, dass ich Wecker sofort verstehe, er geht mir ans Herz und nicht an den Kopf.

Rückseite von „Lieder Meines Lebens“: Die Tracklist ist schwierig zu lesen.

Dann gibt es eine Zuspielung aus dem Jahre 1959, bei der wir Wecker und seinen Vater als „La Traviata“ zuhören dürfen, ein Stück, das seine Mutter mit einem Tonband aufgenommen hat. Die Mutter hätte den Vater nie verstanden, sie hätte ihr ganzes Verständnis für den Sohn aufgebraucht. Eine schönere Liebeserklärung kann ich mir kaum vorstellen. Und doch geht es noch tiefer, wenn Wecker in „Niemals Applaus“ seinem Vater erklärt:

Und meistens sagt man erst zum Schluss
was man verdeckt in tausend Varianten schrieb:
wenn ich an meinen Vater denken muss
dann denk ich stets – ach Gott, hab ich ihn lieb.

Liebeslied

Das nachfolgende „Liebeslied“ wird virtuos auf dem Klavier begleitet und ich kann nur den Lebenshunger des jungen Weckers erahnen, als er dieses Lied schrieb. Ein erster Höhepunkt des Albums. Wecker schafft es, uns in diesen Momenten seine ganze Leidenschaft für seine Musik und auch die Musik von anderen Komponisten wie Giacomo Puccini oder auch Nino Rota spüren zu lassen. Dazu trägt er einige seiner Stücke als Gedicht vor und geht uns dabei erneut ans Herz.

Und doch kommt er mir noch ein Stück näher, wenn seine Poesie in Liedform erklingt, so auch im nächsten Song „Manchmal weine ich sehr“. Auch dieses Stück hat bereits viele Jahre auf dem Buckel und erinnert mich an Niels Freverts „Schwör“, der ebenfalls die Psychatrie zum Thema macht und viel zu selten gehört wird. Doch während Freverts Protagonist unbedingt raus will, bleibt Wecker lieber noch ein wenig länger drinnen.

Liebesflug

Wecker macht auch klar, dass er immer nur er selbst war und nicht der Spiegel unserer Gesellschaft. Er komponierte das, was in ihm steckte. Und wenn es nun mal die Liebe war, dann hatte das Politische den Mund zu halten. Recht hat er (ein alter Song von ihm). Und er stellt auch aus meiner Sicht die wichtige Frage: „Was passierte in den Jahren, wohin hast du sie verschenkt?“

Hier spricht er mir aus der Seele, was hab ich schon Großartiges gemacht während meiner letzten zehntausend Tagen? Wecker sucht seine Antworten, indem er sich selber hinterfragt und bezweifelt. Das ist mutig und dafür erhält er vor der Pause viel Applaus. Und ebenfalls noch vor der Pause kommt der Pazifist Wecker zu seinem Recht und erzählt von seinem Freund Hans-Peter Dürr, mit dem er die Ansicht teilte, dass mehr Waffen immer nur zu noch mehr Leid führen.

Wut und Zärtlichkeit

Mit „Wut und Zärtlichkeit“ geht es nach der Pause weiter und auch dieser Song erinnert mich an HRK, sein „Der schwere Mut“ hatte eine ähnliche Anschlagsdynamik.

Eines fügt sich doch zum andern,
nichts besteht für sich allein.
Flüsse, die getrennt mäandern,
leiben sich dem Meere ein.

Das ist wunderschön getextet und zeigt seine große Klasse und seine Fähigheit, die Poesie zum Klingen zu bringen. Wecker macht es uns nicht leicht, wenn er von der Liebe ins Politische wechselt und uns ein Lied über die „Weiße Rose“ anbietet: „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen!“

Und mir fällt dazu ein, dass ich wie Wecker mit den Menschen dieser Zeit auch einmal zusammen sitzen würde, um Antworten auf meine Fragen zu erhalten. Genau wie er würde ich die Ohren spitzen, um die Antwort von meinem Großvater zu hören, wenn ich ihn frage, warum er nur so ein gottverdammter Antisemit war.

Warum ich kein Patriot bin

Wecker läßt nicht locker und erklärt, warum er kein Patriot ist. Und er sagt das einzig Richtige, nämlich dass der Holocaust niemals relativiert werden darf und dass es niemals damit genug sein kann. „Sage nein“ erinnert uns mit klaren Worten an unsere Verantwortung. Dann kommt er auf Hanns Dieter Hüsch zu sprechen und zitiert ihn auch:

Ich hör ein Herz, das tapfer schlägt,
In einem Menschen, den es noch nicht gibt,
Doch dessen Ankunft mich schon jetzt bewegt.
Weil er erscheint und seine Feinde liebt.

Und nun dürfen wir uns eine Zuspielung von Ernst Toller anhören, eine Aufnahme von 1930, wie Wecker erklärt. Toller erzählt eine Geschichte, die er selbst im Schützengraben erlebt hat und wieder geht es um den Pazifismus. Ich erinnere mich an meinen Klassenlehrer Helmut, der mir 1977 erklärte, dass „Pazifist“ ein Schimpfwort sei und ich es nicht benutzen dürfte. Leider hatte er mir nicht erklärt warum, vermutlich ging es um den Radikalenerlass von 1972 – damals führten „linksextreme“ Ansichten zu einem Berufsverbot und Helmut sah mit seinem langen Haaren und Vollbart schon ziemlich links und vor allem extrem aus.

Auf der Suche nach dem Wunderbaren

Wecker beschreibt sich selbst als bekennender Anarchist, der als Linker Spiritualität sucht und dass er sich auf die Suche nach dem Wunderbaren begeben hat.

Auf der Suche nach dem Wunderbaren
war ich meistens aller Wunder bar,
und ich musste schmerzhaft oft erfahren,
dass nur selten etwas Wunder war.

Es sind diese schlichten Worte, die mich für Wecker einnehmen. Danach wird es wieder etwas poetisch, wenn wir hören, was uns der Regen raunend erzählt, nämlich dass wir nicht wissen müssen, wer wir sind, sondern dass es bereits genügt, nur zu sein.

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Wenn der Sommer nicht mehr weit ist

Gerne stimme ich ihm zu, wenn er uns darum bittet, mit dem Herzen zu denken, um den Hass mit Zärtlichkeit zu bekämpfen. Er fordert uns auf, unseren Verstand zu benutzen. Doch nach den Anschlägen der letzten Wochen ist bei vielen Menschen der Verstand aus- und nur noch das Bauchgefühl eingeschaltet. Pauschal wollen wir alle loswerden, die nicht so sind, wie wir uns „Deutsche“ vorstellen. Wecker warnt uns davor, die Menschen, die an Menschlichkeit glauben, alleine zu lassen. Und wie schon oben geschrieben, spricht Wecker zu einem Publikum, dass ihm natürlich applaudiert. Und leider hören immer noch die Falschen zu, die anderen sitzen zu Hause, schauen TikTok oder jubeln den Alternativen zu. Es ist zum Verrücktwerden.

Zum Ende des Konzerts entlässt uns Wecker mit seinem wunderbaren „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“. Wir dürfen mit ihm zum Ausgang schlendern und er schickt uns dann mit der Gewissheit nach Hause, dass jeder Augenblick für ewig ist.

Recht hat er, der Konstantin (ein alter Song von ihm).


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