Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll…
Zum Beispiel lief gestern Abend auf Netflix die Serie „Zwei an einem Tag (One day)“ und in der fünften Folge ruft der Held völlig verzweifelt die Heldin an und bittet um dringenden Rückruf. Im Hintergrund läuft „Save me“ von Joan Armatrading. Und zwar das komplette Stück.
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Mehr InformationenDas erinnerte mich wie ein Donnerschlag daran, dass ich nun endlich dieses Album (und auch jedes andere Album) von Joan Armatrading „besprechen“ muss. „Save me“ ist einer der Hammersongs, die Joan geschrieben hat und davon gibt es wirklich viele. Wer ein Herz hat, wer jemals bis über beide Ohren unglücklich oder von mir aus auch glücklich verliebt war und bei diesem Song keine feuchten Augen bekommt, dem ist nicht mehr zu helfen. Und gerade dann ergibt dieser Titel erst richtig Sinn.
Joan Armatrading
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Joan Armatrading produziert von Glyn Johns
Das selbstbetitelte Album „Joan Armatrading“, das 1976 erschien, markiert einen entscheidenden Moment in der Karriere der britischen Singer-Songwriterin. Es überzeugt durch seine künstlerische Reife, durch seine emotionale Tiefe, eine musikalische Vielfalt (Jazz, Rock, Funk, Reggae) und eine meisterhafte Produktion. Und Gottseidank folgten unter der Aufsicht von Glyn Johns noch zwei weitere wunderbare Alben, nämlich „Show Some Emotion“ und „To The lLimit“. Und genau dieser Dreiklang ist die Essenz von Joans frühen Jahren. Was für eine Musik!
Glyn Johns hatte bereits mit den Beatles, den Stones, den Who gearbeitet und brachte nun sein umfassendes Know-how in die Produktion dieses Albums ein. Seine Fähigkeit, die Essenz eines Künstlers einzufangen, ermöglichte es Joan, ihre musikalische Visionen auszuschöpfen. Johns legte Wert darauf, ihre Stimme in den Vordergrund zu rücken. So schuf er ein Soundbild, das seinesgleichen sucht. Glyn Johns durfte als Toningenieur auch bei den besten lernen, zum Beispiel bei Shel Talmy, dem Produzenten der Kinks.
Die Songs des Albums Joan Armatrading
Der Opener „Down To Zero“ gibt sofort die Richtung an und selten wurde ein Album so kongenial eröffnet, wie mit diesem Song. Die akustische Gitarre führt direkt zum Klavier, ein Arpeggio folgt, die Drums folgen und Joan erklärt uns ihre Welt. Der Song wurde als erstes für das Album aufgenommen, war auch eine Single-Auskopplung und schaffte es natürlich nicht in die Charts. Trotzdem bleibt das Lied eine Achterbahn der Gefühle, wie eben auch alle anderen Songs des Albums.
Wir hören weiter und treffen auf „Help Yourself“, das mit leichten Tönen eines elektrischen Pianos beginnt. Nach den ersten Strophen wird es ruppig bis der Chorus uns mit „Help Yourself“ erlöst. Was hier im Hintergrund musikalisch passiert, ist kaum zu beschreiben. Joan flüstert, das E-Piano begleitet uns und sind das am Ende wirklich echte Streicher, die den Song nach Hause bringen?
„Water With The Wine“ ist keinesfalls schlicht, sondern einfach nur straight. Und auch hier gibt es eine aufbegehrende Orgel und wiederum einen Chorus, der vom Schlagzeug umspielt wird. Während Joan mit ihrer Stimme Musikinstrumente nachahmt und auch die zweite Stimme singt, spielt der Bass lustige Figuren und das ganze macht wirklich, wirklich Spaß.
Das Soundkonzept ist auf den Punkt, wenn der bekannteste Song des Albums „Love And Affection“ beginnt. Wenn der Rim-Click (also der leichte, sanfte Schlag auf den Rand der Snare-Drum) leicht verhallt erklingt – das ist absolut großartig und erhaben. Der Background-Gesang ist im Call & Response-Modus und wird begleitet von einer tiefen Gesangsstimme – „Love And Affection“ ist und bleibt der Signature-Song von Joan Armatrading.
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Mehr InformationenSave Me
Tja, und dann sind wir endlich bei dem Song, den ich am Anfang erwähnt habe, nämlich „Save Me“. Eröffnet wird das Stück mit Joans akustischer Gitarre auf dem rechten Kanal während ihre Stimme leicht verhallt mittig erscheint. Und dieser Hall begleitet uns auch durch den Refrain, jetzt nicht mehr auf Joans Stimme gelegt sondern auf ganz sanft auf das Schlagzeug. Unfassbar gut klingen die Streicher, die Hi-Hat, die elektrische Gitarre im Hintergrund und das alles ist natürlich „heartbreaking“, ich sagte es bereits. Immer wieder wird dieser Song in Serien, Filmen eingespielt und man müßte eigentlich jedesmal das Fernsehen ausschalten und das Album auflegen. Für mich einer der besten Songs, die jemals geschrieben worden sind und leider schon nach 3 Minuten und 38 Sekunden vorbei.
Die zweite Seite wird durch einen jazzigen Basslauf eröffnet, das Klavier spielt die Harmonien und Joan läßt ihre Stimme in den tiefen Lagen jauchzen und zieht dabei die Töne in die Länge. „Are you in, are you out?“, fragt sie uns und fordert uns auf, bei „den Jungs einzusteigen“. Das Piano hämmert solistisch und Joan kommt wieder zurück, die Orgel quietscht und wiederum ist es Glyn Johns Produktion, die alles transparent klingen läßt, so auch das nächste Stück „People“. Hier gibt es einen federleichten Refrain und Joans Stimme, eben noch ganz tief, erklimmt die hohen Lagen.
Somebody Who Loves You
Die nächste Ballade kommt mit „Somebody Who Loves You“ um die Ecke und ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich diesen Song schon gehört habe und immer wieder entdecke ich etwas Neues. Das Stück läuft dem Ende entgegen und ich freue mich schon auf das nächste Mal. Und dann zeigt uns Joan bei „Like Fire“, wieviele Farben, Facetten und Nuancen ihr Gitarrenspiel beinhaltet. Man muss auch diesen Song mehrmals hören, immer versucht man, sich auf ein bestimmtes Instrument zu fokussieren. Mal sind es die Drums, dann ist es die Pedal Steel Gitarre, bevor Joan auf der akustischen Gitarre ein wahnsinniges Solo spielt. Erneut fällt auf, wie nah Glyn Johns Joans Stimme am Mikrofon platziert hat.
Tall In The Saddle
Ich hatte bereits „Love And Affection“ als Joans „Signature Song“ bezeichnet. Das Gleich gilt ohne Zweifel auch für den Rausschmeißer des Albums, nämlich „Tall In The Saddle“. Ihre Liebe muss gehen, aber wenigstens hatten sie zusammen Spaß. Die Instrumente weinen, und zwar alle. Der Bass, die Snare Drum und das Piano:
Tall in the saddle, one of these days you’re gonna have to dismount
Du sitzt zwar fest im Sattel, aber irgend wann musst Du absteigen. Dann weint auch die Sologitarre. Und dann dann geht es funky weiter und der Song wandelt sich und wir verstehen endlich, was Joan Armatrading unter Spaß versteht, nämlich uns freudestrahlend am Ende des Albums nach Hause zu schicken.
Joan Armatrading ist eine Zeitreise
Beim Hören des Albums passiert etwas Unglaubliches. Man wird, ohne es zu merken, zurück in die siebziger Jahre geworfen, bleibt dort hängen und man will auch gar nicht mehr weg von dort. Immer wieder sehne ich mich in diese Zeit zurück, als musikalisch alles gewagt wurde, als alles noch handgemacht war. Die Instrumente auf diesem Album haben eine Seele, jemand liebt es, mit ihnen Musik zu machen und wir haben das große Glück, dieses Album auf dem Trödelmarkt als Vinylpressung für vielleicht 5 Euro mit nach Hause nehmen zu dürfen – oder einfach bei Amazon oder JPC zu bestellen. Egal in welcher Qualität, es lohnt sich immer. Und sei es nur, weil das Cover noch völlig okay aussieht. Bei mir steht das Album unter dem Fernseher – wenn nichts Gutes läuft, lege ich die Scheibe auf. Wann wurde jemals wieder so schöne Musik produziert?
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