David Crosby ist vorgestern gestorben. Ich habe überlegt, was ich dazu schreiben kann. Und am besten schreibe ich darüber, was er zu „Ladies of the Canyon“ von Joni Mitchell beigetragen hat. Nämlich nichts. Crosby war nach Aussage von Joni Mitchell am Mischpult ein kompletter Versager. Und egal was Mitchell alles Schlechtes über David Crosby gesagt hat, er hat sie geliebt. Genau wie ich.
Joni Mitchell und Leonard Cohen
Meine Geschichte mit Joni Mitchell beginnt Mitte der achtziger Jahre. Auch ich mußte erst auf diese Künstlerin aufmerksam gemacht werden. Mein Freund René war der Meister in Sachen guter Zusammenstellungen von Liedern auf einer Cassette. Er nahm für mich „Rainy night house“ auf, einen Song den Joni Mitchell für Leonard Cohen geschrieben hatte. Die Kanadierin hatte zahllose Affären mit berühmten Musikern und Cohen, ebenfalls aus Kanada, zählte dazu. David Crosby auch, allerdings war das laut Mitchell „…just a summer romance“. Danach folgten Graham Nash, James Taylor und auch Jackson Browne. Und alle schrieben wunderbare Songs über oder für Joni Mitchell. Graham Nash sang zum 75. Geburtstag von Joni Mitchell noch einmal „Our house“. Eine Demo-Version dieses Songs ist erst kürzlich auf der Deluxe-Ausgabe des Albums „Deja-vu“ von Crosby, Stills, Nash & Young erschienen. Hier kann man Joni hören, wie sie Graham Nash begleitet und am Ende lacht.
„Ladies of the Canyon“ kann Kettenreaktionen auslösen. Während andere Menschen sich Klaviere kaufen und anfangen, Musikunterricht zu nehmen, fing ich an, sämtliche Platten von Joni Mitchell zu sammeln. Das Album trägt eine heitere, wolkenlose Stimmung in sich. Interessanterweise sehe ich bei dieser Platte einen blauen Himmel vor mir. Dabei trägt erst das folgende Album den Titel „Blau“ und spielt damit auf die Liebe an, die sich buchstäblich in die Haut eingräbt („Blue, songs are like tattoos“).
Ladies of the Canyon – Blaupause für Blue
Viele halten „Blue“ für das beste Album von Joni Mitchell. Dabei war „Ladies of the Canyon“ schon die Blaupause für „Blue“. Joni Mitchell zeigte bereits auf diesem Album ihre Verletzlichkeit. Und sie nutzte ihr Talent, um mit wenigen Instrumenten ihre Lieder regelrecht zu malen, genauso wie sie ihre Albumcover gemalt hat. Auch das von „Ladies of the Canyon“, das ganz in weiß gehalten ist und Joni Mitchell mit einem Plaid zeigt, auf dem ein paar Häuser aus dem Canyon bunt ausgemalt sind. Joni nutzt ihr Können und spielt auf diesem Album ihre Songs mit einer unglaublichen Präsenz. Kein Schlagzeug ist zu hören, lediglich Joni auf dem Piano, an der akustischen Gitarre, dazu ihre Stimme. Im Hintergrund gibt es noch ein paar Farbtupfer mit Violincello, Saxophon und Flöte.
Auf „For free“ hört man am Ende ein schönes Klarinettensolo. Ihre Stimme wird manchmal gedoppelt, es gibt aber auch einen Chor, der sie bei „Circle Game“ begleitet. Die Songs auf diesem Album wurden über tausendmal gecovert, es ist eigentlich nicht möglich, dass man noch nie einen Song von Joni Mitchell gehört hat. Interessanterweise klingen diese Coverversionen teilweise völlig anders und glatter, wie zum Beispiel „Woodstock“, dass einerseits Crosby, Stills, Nash & Young, andererseits Matthews Southern Comfort erfolgreich nachspielten.
Rainy night house
Joni Mitchell gelingt es, den Zuhörer auf diesem Album mit eigenwilligen Arrangements neugierig zu machen. Sei es die verspielte Klavierbegleitung in „Morning Morgantown“ oder das unglaubliche E-Piano auf „Woodstock“, in der sie mit ihrer Falsett-Stimme unsere Belastbarkeit austestet. Auch die Geschichten, die sie in ihren Lieder erzählt sind mitten aus dem Leben gegriffen. „For free“ erzählt beispielsweise von einem Straßenmusikanten in New York der dort „real good for free“ spielte. Und in „Willy“ erklärt Joni Mitchell Graham Nash ihre Liebe, obwohl die beiden zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon kein Paar mehr waren.
Für mich bleibt „Rainy night house“ immer der Höhepunkt des Albums. Wahrscheinlich, weil es der erste Song war, den ich bewußt von Joni Mitchell gehört habe. Der Klang des Pianos und die Choreinschübe sind auch heute nach mehr als 50 Jahren absolut beeindruckend.
Das Album endet mit „Circle Game“, bei dem Joni Mitchell das Publikum zum Mitsingen einlädt. 2022 sang sie dieses Lied auch auf dem Newport Folk Festival – unbedingt anschauen.
Ladies of the Canyon und die Folgen
Meiner Kollegin Bettina habe ich in den Neunzigern „Ladies of the Canyon“ geliehen. Nach einer Woche habe ich die CD zurück bekommen, im Booklet fand ich folgende Notiz von ihr:
„SIE!!! …und diese schreckliche Frau mit der Sirenenstimme….SIE sind schuld, daß ich meine Wohnung umräumen muß, meine Eltern bestehle und Möbelpacker bezahle, mal abgesehen von den Kosten für den Unterricht + die Instandsetzung, die noch auf mich zukommen! Und DAS mir…“
Sie hatte sich ein (kaputtes) Klavier gekauft, um diese Platte nachspielen zu können. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Daten zur Pressung
Erscheinungsjahr | 1970/1973 |
Herkunftsland | Deutschland |
Katalognummer | REP 44 085 |
Label | WEA |
Preis | Im Januar 2023 gibt’s Ladies of the Canyon als Vinyl für xx Euro bei Amazon* |
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